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Seminartexte: Das Bauhaus

„Hängt ihn auf ... Hängt ihn auf ... den Lorbeerkranz“! Die Bedeutung des Bauhauses für die Bildende Kunst des 20. Jahrhunderts

 

Das staatliche Bauhaus, gegründet nach der Katastrophe des Kriegs, im Chaos der Revolution und zur Zeit der Hochblüte einer gefühlsgeladenen explosiven Kunst, wird zunächst zum Sammelpunkt derer, die zukunftsgläubig-himmelstürmend die Kathedrale des Sozialismus bauen wollen. Die Triumphe von Industrie und Technik vor dem Krieg und deren Orgie im Zeichen der Vernichtung währenddessen, riefen jene leidenschaftliche Romantik wach, die flammender Protest war gegen Materialismus und Mechanisierung von Kunst und Leben. Die Not der Zeit war auch die Not der Geister. Ein Kult des Unbewußten, Undeutbaren, ein Hang zu Mystik und Sektiererei entsprang dem Suchen nach den letzten Dingen, die in einer Welt voll Zweifel und Zerrissenheit um ihren Sinn gebracht zu werden drohten.“

(Oskar Schlemmer, 1923, zitiert nach Wingler (1962, 2002), S. 79)

 

„Wir stürzten uns in die geistigen Abenteuer der schweren Zeit. Das Bauhaus wurde die „Hochburg“ des Expressionismus, den die Mitwelt für ein Abzeichen des Weltuntergangs hielt. Uns bedrückten in der künstlerischen Arbeit kaum die verschiedenen Weltanschauungen, die durch das Bauhaus wirbelten: der Wanderapostel Häuser mit seinem Vagabundenleben, die Mazdaznanlehre, die Johannes Itten mitbrachte – die Bauhausküche kochte noch dieser Lehre -, Anthroposophie, Theosophie, Katholizismus, Spiritismus, alles getragen von der Hoffnung auf eine neue Welt. Wir ironisierten alles, vor allem uns selbst, und wurden dadurch frei für die Ehrfurcht, die wir von Natur dem Leben und dem Menschen entgegenbrachten. Die Bauhaus-Jahre in Weimar waren eine feurige Reinigungszeit und banden unseren kleinen verlorenen Haufen zu einer Einheit. „Bauhäusler“ – das klang wie Zuchthäusler. – nannten uns viele Weimaraner mit Schaudern und nicht ohne Angst; viele aber hatten auch Nachsicht mit uns und taten uns Gutes, das niemand von uns vergessen hat. Wir bedurften der Nachsicht. Wir hatten uns eine Männertracht erfunden, die wir – auch die Meister, soweit sie mochten – öffentlich trugen. Ich habe und benutze meinen alten Bauhaus-Anzug noch. Als Itten eines Tages erklärte, Haare seien ein Zeichen der Sünde, rasierten sich die Begeistertsten den Schädel völlig. So bevölkerten wir Weimar und die nähere Umgebung.“

(Lothar Schreyer, Bauhäusler, in: Neumann, Eckhardt 1971/1985, S. 122)

 

„Bei der Gründung des Bauhauses war ich zu der Einsicht gekommen, daß ein autokratisch-subjektiver Lehrprozeß die angeborenen persönlichen Ansätze verschieden begabter Schüler verschüttet, wenn der Lehrer ihnen seine eignen Denk- und Produktionsresultate, sei es auch in bester Absicht, aufprägt. In klarem Gegensatz zu van de Veldes Methode kam ich zu der Überzeugung, daß der Lehrer davon Abstand nehmen muß, sein eigenes Formvokabular an den Studenten weiterzugeben, daß er diesen vielmehr seinen eigenen Weg, wenn auch auf Umwegen, selber finden lassen muß. Wenn er auf Ansätze zu eigenem Denken und Fühlen im Schüler stößt, soll er ihn ermutigen, imitative Schritte dagegen rücksichtslos bekämpfen oder ihn zum mindesten wissen lassen, daß er auf fremdem Acker erntet. Er muß sich objektiv verhalten und als Grundlage des schöpferischen Prozesses ein Studium der natürlichen Phänomene aufbauen, die durch wohl dirigierte Beobachtung der biologischen und psychologischen Fakten dann langsam verstanden werden. Wir versuchten im Bauhaus, in der Zusammenarbeit vieler Künstler, einen objektiven Generalnenner der Gestaltung zu finden, sozusagen eine Design-Wissenschaft zu entwickeln, die seitdem in zahlreichen Schulen verschiedener Länder erweitert worden ist. Eine solche Grundlage der allgemeinen, überpersönlichen Gestaltungsgesetze gibt verschiedenen Begabungen den organischen und einenden Hintergrund. Der persönliche Ausdruck bezieht sich dann in jedem individuellen Schöpfungsvorgang auf die gleichen, von allen anerkannten Grundbegriffe. Ich bin der Ansicht, daß diese Lehre schon im Kindergarten und in der Grundschule beginnen muß. Auf diesem Boden könnte sich dann – wenn wir den Propagandisten im Zaume halten könnten – allmählich ein neuer Zeitausdruck entwickeln, wie wir ihn von kulturell starken Perioden der Vergangenheit her kennen.“

(Walter Gropius, in: Neumann, Eckhardt 1971/1985, S. 17 und 18)

 

„Jeder Lernende wird zunächst für ein halbes Jahr zur Probe aufgenommen. während dieser Probezeit nimmt er ausschließlich an dem Vorunterricht teil. Der Vorunterricht hat den Sinn, die schöpferischen Kräfte im Lernenden frei zu machen, ihn die Materien der Natur begreifen zu lernen und die Grundgesetze des Bildens erkennen zu lassen. Jeder Lernende ist belastet mit einer großen Summe Angelerntem, das er erst abstoßen muß, um zum Erlebnis und einer eigenen Erkenntnis zu kommen. Wer zum Beispiel in Holz oder Stein arbeiten will, muß das Material, besser gesagt die Materie, aus der er das Werk schaffen will, mit allen Sinnen begriffen haben. Der in Holz Arbeitende muß, wie man richtig sagt, das Gefühl für Holz haben. Um die Materie Holz genau zu kennen, muß man ihr Verhältnis zu anderen Materien, wie Stein, Glas, Wolle, kennen. Wer später in Holz arbeiten will, muß im Grunduntericht auch in den anderen Materien arbeiten.“

(Druckblatt zur ersten öffentlichen Ausstellung von Schülerarbeiten des Bauhauses 1923, zitiert nach Wingler (1962, 2002), S. 64)

 

„Das Bauhaus hat den Anfang gemacht, mit der bisher üblichen akademischen Erziehung zum kleinen Raffael und zur Entwurfsarbeit zu brechen und die aus dem gestaltenden Werkleben des Volkes zu dessen und ihrem Schaden entflohenen schöpferischen Begabungen wieder dahin zurückzuleiten. Es ging bewußt darauf aus, anstelle des Prinzips der Arbeitsteilung wieder auf eine Einheitsarbeit hinzustreben, die den schöpferischen Gestaltungsvorgang als unteilbares Ganzes auffasst. ... Auch das richtige Handwerk mußte erst wieder geboren werden, um an ihm den Jungen den ganzen Entwicklungs-Ablauf der wesentlichen Gestaltungstätigkeit begreiflich machen zu können. Aber eine Ablehnung der Maschine und der Industrie ist damit keineswegs verknüpft. ...

Das Bauhaus könnte zu einer Insel der Eigenbrötler werden, wenn es den Kontakt mit der Arbeit der übrigen Welt und ihrer Arbeitsart verlöre. Seine Verantwortung besteht darin, Menschen zu erziehen, die die Welt, in der sie leben, in ihrem Grundcharakter klar erkennen (können) und aus der Verbindung ihrer Erkenntnisse mit ihren Phantasien typische, ihre Welt versinnbildlichende Formen zu schaffen vermögen. Also auf die Verbindung der schöpferischen Tätigkeit der einzelnen mit der breiten Werkarbeit der Welt käme es an! Lehnten wir die Umwelt völlig ab, so bliebe als Ausweg nur die romantische Insel.“

(Walter Gropius (1922), zitiert nach Wingler (1962, 2002), S. 62.)

 

„Man erstrebte eine Synthese, das Zusammenwirken aller, und dies bereits in der Ausbildungszeit. Jeder sollte sich einordnen, aber seinen Eigenwert nicht verlieren. Im Orchester findet auch das Nichtgenie seinen Platz. Die mittelalterliche Bauhütte fand im Bauhaus ihre aktuelle Erneuerung. Die meisten Schüler gingen nach Abschluß ihres Studiums in die Praxis, führten die Anregungen ihrer Lehrer weiter und erblickten in der Umweltgestaltung ihre Aufgabe. Verhältnismäßig wenige wurden Maler oder Bildhauer, wie Fritz Winter. Eine „Kunstschule“ im üblichen Sinne war also das Bauhaus nicht, „Hochschule für Gestaltung“ war damals die richtige Bezeichnung gewesen, aber „Bauhaus“ war die richtigste.“

(Will Grohmann, zitiert nach Neumann, Eckhardt (1971/1985), S. 246 und 247.)

 

„Wie kommt es, daß wir ebensowohl ein gut gebautes Automobil, ein Flugzeug, eine moderne Maschine in ihrer Form bejahen können, wie ein von schöpferischer Hand schön geformtes Einzelkunstwerk? Wir sind durchaus nicht so geartet, das wir entweder das eine oder das andere ablehnen, sondern es handelt sich offenbar um zwei ganz getrennt nebeneinander her gehende Gestaltungsvorgänge, von denen nicht etwa der eine veraltet und der andere modern ist ...“

(Walter Gropius, zitiert nach Wingler (1962, 2002), S. 62.)

 

„Er hat eine große Anzahl verschiedenfarbiger Rechtecke, Quadrate, Scheiben und Dreiecke mitgebracht, die er uns in verschiedenen Kombinationen vorhält, um unser Sehrvermögen zu prüfen und zu bilden. In dieser Zusammenstellung z. B. ist das Gelb vorn und das Blau hinten. Nehme ich nun aber dieses Schwarz dazu, „was passiert dann?“ usw. usf. Für den Maler. nie ermüdendes Spiel, Zauberei und – Qälerei, wenn man z. B. etwas „nicht nach vorn kriegt.“

(Ursula Schuh über ihren Unterricht in der Malklasse von Wassily Kandinsky, zitiert nach Neumann, Eckhardt (1971/1985), S. 240 und 241.)

 

„laanketerglll, pepepepepe

oka oka oka lanketerglll pepepepepe

zuekazueka zueka

ruempf, rnpf – .“

(aus der Ursonate von Kurt Schwitters, aufgeführt auf der Bauhaus-Bühne, zitiert nach Neumann, Eckhardt (1971/1985), S. 218.)

 

„Wenn wir heute die Kücheneinrichtung dieses Versuchshauses – entworfen 1922 von Marcel Breuer – sehen (sie ist nie in Serie produziert worden), mutet sie uns sehr selbstverständlich an. Aber wer weiß noch, daß es die erste Küche in Deutschland war mit getrennten Unterschränken und an der Wand befestigten Hängeschränken, dazwischen aber einer durchlaufenden Arbeitsfläche mit dem Hauptarbeitsplatz vor dem Fenster ( in der Küchenmitte gab es keinen Tisch)?

(Heinrich König, zitiert nach Neumann, Eckhardt (1971/1985), S. 184.)

 

„Auf dem Gebiet der Architektur sei nur ein Beispiel erwähnt. Völlig aus der Atmosphäre des Bauhauses ist ein neuer Wohnhaustyp erwachsen; das Scheibenhochhaus, das acht bis zwölf Stockwerke umfassende scheibenförmige Wohnhochhuas, das heute überall verbreitet ist, Zum erstenmal wurde dieser Typ des Wohnhochhauses, das durch seine plattenförmige Gestalt so sehr den Begriff der Massivität widerlegt, in einem Wettbewert für billige Wohnungen, den die Bauwelt 1924 veranstaltete, von Marcel Breuer entworfen. Vergebens führte Walter Gropius bis 1933 einen intensiven Kampf für die Realisierung dies Wohntyps. Das erste Scheibenhaus in Rotterdam wurde 1934 von van Tijen gebaut.“

(Siegfried Giedion, zitiert nach Neumann, Eckhardt (1971/1985), S. 213.)

 

„bauen bedeutet gestalten von Lebensvorgängen. der organismus eines hauses ergibt sich aus dem ablauf der vorgänge, die sich in ihm abspielen. in einem wohnhaus sind die funktionen des wohnens, schlafens, badens, kochens, essen, die dem gesamten hausgebilde zwangsläufig die gestalt verleihen. in bahnhöfen, fabriken, kirchen sind die vorgänge andere, aber aus ihnen allein resultiert die wahrhafte form. die baugestalt ist nicht um ihrer selbst willen da, sie entspringt allein aus dem wesen des baus, aus seiner funktion, die er erfüllen soll.“

(Walter Gropius (1930): Bauhausbauten Dessau, Fulda 1930, S. 92.)

 

Die „das menschliche Gemeinschaftsleben berührende, erweiterte auslegung des rationalisierungsgedankens – ratio = vernunft – wird auch zur grundlage der modernen baugesinnung. denn die wohnung des menschen, das gehäuse des lebens, die zelle des größeren gemeinschaftsgebildes der straße, der stadt, ist ein komplexes element, dessen vielfältigkeit seiner funktionen nur durch vernunft im höheren sinne zu einer einheit gebunden und gestaltet werden kann. es wäre ein irrtum zu glauben, daß das ziel der rationalisierung der bauwirtschaft allein darin läge, die bestehende bauproduktion nur wirtschaftlich, nicht auch sozial zu verbessern. die rationalisierung ist nicht eine mechanische ordnung! wir dürfen um keinen preis über der ratio das schöpferische vergessen!“

(Walter Gropius (1930): Bauhausbauten Dessau, Fulda 1930, S. 200.)

 

... Bauen ist ein technischer, kein ästhetischer Prozeß, und der zweckmäßigen Funktion eines Hauses widerspricht je und je die künstlerische Komposition. Idealerweise und elementar gestaltet, wird unser Wohnhaus eine Wohnmaschinerie. Wärmehaltung, Besonnung, natürliche und künstliche Beleuchtung, Hygiene, Wetterschutz, Autowartung, Kochbetrieb, Radiodienst, größtmögliche Entlastung der Hausfrau, Geschlechts- und Familienleben etc. sind die wegleitenden Kraftlinien. Das Haus ist deren Komponente. (Gemütlichkeit und Repräsentation sind keine Leitmotive des Wohnhausbaues: die erste ist im Menschenherzen und nicht im Perserteppich, die zweite in der persönlichen Haltung der Hausbewohner und nicht an der Zimmerwand!) ... Einzelform und Gebäudekörper, Materialfarbe und Oberflächenstruktur erstehen automatisch, und diese funktionelle Auffassung des Bauens jeder Art führt zur reinen Konstruktion. Reine Konstruktion ist das Kennzeichen der neuen Formenwelt. Die konstruktive Form kennt kein Vaterland; sie ist zwischenstaatlich und Audruck internationaler Baugesinnung. Internationalität ist ein Vorzug unserer Epoche ...

(Hannes Meyer (1926), in: „Die neue Welt“, zitiert nach Whitford (1993), S. 250.)

 

„denn architektur erschöpft sich nicht in Zweckerfüllung, es sei denn, daß wir unsere psychischen bedürfnisse nach harmonischem raum, nach wohlklang und maß der glieder, die den raum erst lebendig wahrnehmbar machen, als zwecke höherer ordnung betrachten.“

(Walter Gropius (1930): Bauhausbauten Dessau, Fulda 1930, S. 88.)

 

... Bis jetzt besteht das BH weiter. Dieser Tage fingen wir das neue Sommersemester an. Trotz der unruhigen Zeit sind 17 neue Studierende eingetreten. Allerdings wenig Ausländer. Aber eine neue Japanerin haben wir doch bekommen, die natürlich fast kein Wort deutsch spricht. Trotzdem fragte sie mich, wo sie mein Buch „Punkt u. Linie“ kaufen könnte. Die Bauhäusler arbeiten ruhig weiter und sind eigentlich frohen Mutes.

Es wird aber auch auf dem Kunstgebiet kräftig abgebaut: viele Museums- und Akademiedirektoren wurden beurlaubt ... In der Dresdner Gallerie wurden die sämtl. Bilder „,moderner Richtung“ abgehängt ... Bei Kommunisten wurden Mengen Waffen und Munition gefunden. Ich glaube ja bestimmt, das die Kom. einen energischen Aufstand im ganzen Reich vorbereiteten und daß der Brand im Reichstagsgebäude ein Signal zum Anfang sein sollte ...

Natürlich ist es uns, „modernen“ Künstlern, sehr peinlich, daß die neue Regierung die neue Kunst mißversteht. Das sieht in Italien ganz anders aus! Die neue Architektur und die neue Kunst (ital. Futuristen) wurden dort als fascistische Kunst anerkannt ...

Nun, wir werden ja sehen, wie es weiter geht und was aus unserer Kunst wird! Jedenfalls sollen die Künstler apolitisch bleiben und nur an ihre Arbeit denken und dieser Arbeit alle ihre Kräfte widmen ...

(Wassily Kandinsky an den Studenten Werner Drewes am 10. 4. 1933. zitiert nach Whitford (1993), S. 301. Auf der Suche nach „Beweisen“ gegen den Bürgermeister von Dessau, Fritz Hesse, wurde das Bauhaus am 14. 4. 1933 von der Gestapo durchsucht und versiegelt.)